Einer jener Komponisten, die 1938 ins Exil getrieben wurden, war Karl Weigl Korrepetitor in der von Gustav Mahler geführten Wiener Hofoper, Wegbegleiter von Arnold Schönberg - aber anders als dieser ein entschiedener Vertreter der Spätromantik. Alle seine Musik ist tonal, Schönbergs Vorstöße in harmonisches Neuland hat Weigl ebenso wenig nachvollzogen wie seine Entwicklung er Zwölfton-Methode.
Es ist denn auch zu Zeiten zu einer Entfremdung zwischen den beiden Meistern gekommen, obwohl sie Seite an Seite 1903 die Vereinigung schaffender Tonkünstler ins Leben gerufen hatten, die zeitgenössische Musik in Wien pflegte.
Eine große Verehrung empfand Weigl für Gustav Mahler. Er war vermutlich Zeuge der Uraufführung der komplexen Siebenten Symphonie in Prag und widmete den Symphonien 4 bis 7 ausführliche Essays, die in einem Mahler-Sammelband im Jahr 1909 erschienen. In Rezensionen von Weigls Werken fällt der Name Mahler denn auch auffällig häufig.
Weigls Musik wurde von den besten Interpreten jener Jahre aufgeführt, zu seinen Dirigenten zählten Bruno Walter, Wilhelm Furtwängler und George Szell, seine Kammermusik fand mit dem Rosé Quartett und dem Kolisch-Quartett die besten Anwälte. Das Rosé-Quartett setzte 1907 die Uraufführung von Weigls einsätzigem Streichsextett auf sein Programm im Bösendorfersaal - zwischen die Erstaufführung von Max Regers Suite im Alten Stil (mit Franz Schmidt am Klavier) und Beethovens Quartett op. 130.
Noch 1937 kamen die Fünf Lieder für Sopran und Streichquartett in Wien durch Elisabeth Schumann und das Kolisch Quartett zur Uraufführung und Der Tag schwärmte vom »echt romantischen Geist« in Weigls Musik und von »Mahlerscher Lyrik, die Vorbild gewesen sein mag.«
Weigl unterrichtete Theorie und Komposition am neuen Wiener Konservatorium, Harmonielehre und Kontrapunkt am Institut für Musikwissenschaft an der Universität Wien.
Im amerikanischen Exil
Noch in der Emigration, als er mit seiner Familie in bitterer Armut in einer Einzimmerwohnung leben mußte, ehe er Lehraufträge in Brooklyn, Boston oder Philadelphia bekam, schrieb er groß angelegte Werke.
Doch war seine Musik nach seinem Tod - 1949 in New York - rasch fast völlig vergessen. Aufführungen wie die posthume Premiere der Fünften Symphonie, der »Apokalyptischen« unter Leopold Stokowski in der New Yorker Carnegie Hall konnten daran nichts ändern.
Biographie in Streichquartetten
Eine Initiative des Wiener Artis Quartetts sorgte dafür, daß immerhin die Streichquartette von Karl Weigl wieder in den Fokus rückten, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Schafen dieses Komponisten ziehen.
Weigls Musik gehört ihrem Tonfall nach ganz der frühen Wiener Moderne an, hält bei ähnlicher Expressivität in ihrer Ausweitung der überlieferten Formen grunsätzlich stärker an der Bindung an fühlbare Grundtöne fest als etwa die stilistisch ähnlichen Stücke aus der Feder von Alexander von Zemlinsky.
Acht Streichquartette hat Karl Weigl in Wien bzw. in der Emigration komponiert. Sie alle sind tonal und bleiben der Fin-de-Siècle-Tonsprache treu.
Allegro con fuoco
Adagio
Wild und bacchantisch
Andante moderato
Die »Wiener Morgenzeitung« berichtete im April 1926 über eine Aufführung des Werks in direkter Konfrontation mit Franz Schmidts damals neuem ersten Streichquartett in A-Dur:
Auch Weigl verdichtet die ganze Innigkeit seiner Empfindung im Adagio, welches seiner musikalischen Kultur ein ehrenvolles Zeugnis ausstellt. Weniger glaubhaft wirkt das Bacchantische des dritten Satzes, ergreifend der Abgesang des Finale. Während durch Schmidts Quartett helles A-Dur-Licht flutet, ist Weigls Quartett in dunkles c-Moll getaucht. Über dem Schaffen dieses einsamen Komponisten lastet stets ein Schatten, ein düsteres, verkrampftes Etwas, das keine restlose Freude an seiner starken Begabung aufkommen läßt.
Der Rezensent des »Neuen Wiener Journals« befand hingegen, diese Novität gehöre
mit zum Besten, das in den letzten zehn Jahren in Wien geschaffen wurde und verdient aufmerksamere Pflege und weitere Verbreitung. Zwei langsame Sätze kontrastieren mit leidenschaftlich bewegten Allegrosätzen.
Immerhin wurde das philharmonische Rosé-Quartett nach dieser Erstpräsentation im Musiksalon des Verlags Doblinger auf das Werk aufmerksam und kündigte für die folgende Saison eine Aufführung im Konzerthaus an, die in der Stunde zu der Bemerkung führte:
Es gibt ein neues Werk bei Rosé, ein Streichquartett von Karl Weigl. Ein Wiener, Stürmer einst, heute zwischen zwei Generationen stehend; aber noch der gleiche Könner, der gleich ehrliche und bedeutende Künstler. Er wird in Wien arg zurückgesetzt. Die Aufführung des klangschönen, gedankenreichen Quartetts bei Rosé war wohlverdiente Genugtuung.
Und die Wiener Sonn- und Montagszeitung ergänzte, das Werk
erfreut durch seine ehrliche Arbeit, die nicht nur von einem hochkultivierten Kunstverstand, sondern auch - wie wohltuend bei einem »zeitgenössischen Komponisten« - von echter Empfindung Zeugnis ablegte. Orchestral in seiner ganzen Anlage, verrät das Quartett an gar manchen Stellen den feinsinnigen Lyriker. Einflüsse von Mahler und Debussy sind unverkennbar, so schließt gleich der 1. Satz in ehrfurchtsvoller Verbeugung vor den Manen Mahlers, so durchzittert das Licht Debussyscher Mondnächte das Trio des 3. Satzes. Karl Weigl konnte für starken Beifall danken, der nicht nur dem bescheidenen Musiker, sondern auch dem Werke, dem eine straffere Synthese nicht Abbruch täte, galt.
Im September 1909 zog Weigl den Schlußstrich hinter sein drittes Streichquartett, das allerdings erst zwei Jahre später zur Uraufführung kam. Das Finale beginnt mit einem Zitat des Eröffnungs-Rhythmus des Scherzos aus Beethovens Neunter Symphonie. Die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zeichnete das Werk 2010 mit dem (mit 2000 Kronen dotierten) Beethoven-Preis aus.
Die Opus-Nummer 4 erhielt das Quartett, wie gewohnt bei Weigl, erst mit der Drucklegung. Die Partitur ist
Meinem Lehrer Alexander von Zemlinsky.
gewidmet, dessen erstes Streichquartett in derselben Tonart, A-Dur, ebenfalls die Opusnummer 4 trägt.
Heftig, doch nicht zu rasch (Allegro)
Allegretto
Requiem für Eva. Sehr langsam (Adagio)
Allegro appassionato
Von diesem Werk entstand zunächst 1923 das »Requiem«, das Weigl auch gesondert aufführen lassen wollte. Die drei anderen Sätze vollendete Weigl erst im Laufe des folgenden Jahres.
Uraufgeführt wurde das Quartett 1929 in Berlin im Rahmen eines Gastkonzerts des »österreichischer Komponistenbundes« neben Kompositionen von Wilhelm Grosz, Josef Matthias Hauer, Hans Gal und Egon Wellesz. Der Rezensent der Signale für die musikalische Welt befand:
Karl Weigl gibt in seinem Streichquartett in d-Moll eine Musik, wie man sie am Schreibtisch ersinnt. Auf einen spröden ersten Satz folgt ein originellerer zweiter und ein recht stimmungsvoller dritter, dem sich wieder ein sprödes Finale anschließt. das Ganze aber bleibt trotz seines (gemäßigt) modernen Anstrichs ziemlich trocken.
Österreichische Musikfreunde erfuhren von dieser Uraufführung, die in Deutschland im Rundfunk übertragen wurde, aus der Arbeiterzeitung, die zu berichten wußte:
Ein Streichquartett von Karl Weigel, das als erste Programnummer aufgeführt wurde, weckte einen Beifallssturm.
Sehr ruhig
Allegro molto
Larghetto
Allegro comodo
»Der Tag« brachte am 25. November 1934 eine Rezension der Uraufführung des 5. Streichquartetts durch das Busch-Quartett: Das Werk erklang im Wiener Konzerthaus zwischen einem Haydn-Quartett und dem »Harfen-Quartett« (op. 74) von Beethoven:
Das Busch-Quartett hat die Wiener Musiker Karl Weigl die Ehre erwiesen, ein neues Streichquartett aus der Taufe zu heben. Das gesunde und vergnügte Kind, der neueste Bürger der Wiener Musik, hat dem Publikum, das den mittleren Konzerthaussaal dicht gefüllt hat, besonders gefallen.
Weigls Neues Streichquartett musiziert mit Geist, Temperament und Wohlklang in der Wiener Tradition. Schubertische und Hugo Wolf’sche Geister umgeben es. Von Schubert stammt sein Lyrismus, von Hugo Wolf Harmonie und Rhythmik; auch die gesunde Musizierlust, welche die vier Stimmen mit gesangvollen Themen und Kontrapunkten füllt, gehört zum Stil Wiener und österreichischen Musizierens. Probleme gibt Weigl dem Hörer nicht auf. Er läßt sich auch keineswegs durch die Fragen, welche die moderne Musik aufgeworfen hat, verlieren. Er wohnt behaglich in einem freundlichen Haus, in dem alle Fenster mit Blumen geschmückt sind und dessen Garten blüht. Musik, klingende singende Musik fühlt die Räume.
Natürlich singend beginnt gleich der erste Satz in sonnigem G-Dur. Die Musik fließt hell und klar wie ein Wiesenbach, mit Romantikerlust, sich des Lebens freuend, sehr klangvoll und im besten Quartettstil. Heiter ist auch der zweite Satz mit hurtigen Geigenfiguren, immer in munterer Bewegung, der Mittelteil in graziösem Tanzrhythmus, im Trubel endend: ein brillantes Glück.
Der dritte Satz bringt Trauermelodien, warm auf der Geige gesungen, und endet in friedvollem Dur. Der Schlußsatz führt wieder in eine heitere Welt zurück, zu Tanzrhythmen, anmutigen, leichten anmutigen Rondospielen und einem fröhlichen Schluß.
Ein Vetter von Hugo Wolfs Musikant spielt hier auf. Der Erfolg der schönen Musik Weigls, in der Einfall und Können sich die Waage halten, war ehrlich und stark.
Der Komponist wurde mit Beifall überschüttet. Er hat mit künstlerischen Mitteln dem Publikum sichtlich Freude gemacht.
6. Streichquartett, C-Dur, 1939
Andante
Allegro molto
Adagio
Allegro
Das Siebente Quartett steht in f-moll und stammt aus dem Jahr 1942, lyrisch grundiert, wie die meisten Werke dieses Komponisten, beginnt es ungewöhnlicherweise mit einem Andante, ruhig und besonnen, wei eine große Arie für den Quartettprimarius, die erst gegen die Mitte des Saztes zu von den übrigen Instrumenten zur dialogischen Szene ausgeweitet wird. Das folgende Allegro gibt sich kämpferisch, draufgängerisch und steht in seiner simplen dreiteiligen Form wohl an Stelle des Scherzos - dramaturgisch hin- und hergerissen zwischen tänzerischer Feststimmung und subjektiv-expressiver Gefühlsäußerung.
Ein zweiter langsamer Satz folgt mit dem Adagio, der einige sinistre Töne einbringt: Die Instrumente spielen zum Teil »col legno«, streichen also mit dem Holz des Bogens.
Das Finale fegt alle bösen Gedanken hinweg, nur zwischendurch ein wenig verträumt, slawisch gefärbt, stürmt es unbekümmert einem durch und durch positiven Ende zu. Musik, entstanden mitten im Zweiten Weltkrieg, als tönende Realitätsverweigerung.
Allegro non troppo, ma con brio
Andante
Allegro. Moderato
Allegro
Obwohl »offiziell« in D-Dur stehend, präsentiert Weigls letztes großes Werk den Komponisten von seiner melancholischen Seite, dramatisch zugespitzt steckt die Musik voll hintergründiger Effekte. Sogar das Finale wirkt nach der ausdrucksstarken Adagio-Introduktion drängend, geradezu klaustrophobisch und jedenfalls bis zum Ende nicht entspannt. Der sonst so sonnige Komponist verabschiedet sich nachdenklich.